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Prof. Peter Weibel

Der Körper trägt den Traum

{{Dieser Text soll Ihre Aufmerksamkeit und Ihren Blick auf einige Merkmale der Kunst von August Stimpfl lenken, auf ihre sichtbare Oberfläche, damit deutlich wird, was ihr an Bedeutung zugrunde liegt. Damit Sie erst einmal sehen und damit auch gleichzeitig wissen. Zu diesem Zweck möchte ich August Stimpfl in eine ästhetische Richtung der neueren österreichischen Kunstgeschichte einreihen, wo er meiner Meinung nach einen Platz verdiente, und zwar in eine Geschichte, die mit Klimt, Schiele, Gerstl etc. begonnen und in den 60er und 70er Jahren in eine Körperästhetik gemündet hat, von der man versucht ist zu sagen, sie sei eine Wiener Körperästhetik, obwohl natürlich diese Wiener Körperästhetik durch Künstler aus Niederösterreich, dem Burgenland, der Steiermark und auch aus Tirol geschaffen worden ist. Dass über diese bedeutende Wiener Körperästhetik, eine der wenigen Kunstformen überhaupt, die international Anerkennung und Aufsehen erregten, in Wien selbst noch keine Ausstellung stattgefunden hat, ist typisch für diese Stadt, deren offizielle Geschichte, wie Sie ja wissen, eine des Versagens, der Versäumnisse und Verdrängung ist. Aber darüber wollen wir hier nicht reden. Den Körper als Medium des Ausdrucks ins Bewusstsein gebracht haben in der Mitte der 60er Jahre die Wiener Aktionisten wie Brus, Mühl, Nitsch, Schwarzkogler. Daraus eine formalisierte Körpersprache entwickelt haben Medienkünstler wie: Export, Pezold und ich selbst. Aber auch Plastiker und Zeichner wie Walter Pichler und Bruno Gironcoli haben ihr Körperbild zum Teil von den Aktionisten abgeleitet. Desgleichen Maler wie Arnulf Rainer, Maria Lassnig, Adolf Frohner, Attersee. Was natürlich ist, weil ja die Malerei den Ausgangspunkt für diese Kunstformen des Körpers bildete. Ich möchte also die Körperkunst nicht nur modisch auf zeitgenössische, technische Medien einschränken, sondern auch auf die traditionellen Medien wie Malerei erweitern. Klarerweise ist es sinnvoller, die Arbeiten Stimpfls nicht in Relation zu den körpersprachlichen Formen in den Medien Fotografie, Video, Film zu sehen, sondern in Bezug zu den malerischen körperästhetischen Versuchen, auch der Gruppe um Hrdlicka, Eisler, Traub, und hierbei herauszufinden, was Stimpfls Arbeiten an Neuem, an Eigenständigkeit und Differenz in diese Körperästhetik eingebracht haben. Dabei muss man vor allem in Erinnerung bringen, dass die Bildfläche eine Art Aktionsarena ist, wo der Malvorgang nicht nur dazu dient, die Gegenstände der Welt, z. B. eine Landschaft, abzubilden, sondern wo die physische Dynamik des Malvorgangs auch auf die eigene körperliche Empfindung beim Malen selbst bezogen werden kann. Der Maler spricht dann als Körper! Diese Erfahrung des physischen Aspekts der Aktionsmalerei der 50er Jahre, der körperlichen Dynamik der Malerei in Beziehung zur eigenen Empfindung, hat Maria Lassnig, wie Sie wissen, zur Theorie und Praxis des „Bodyawareness painting", der Körperbewusstseinsmalerei, ausgebaut. Was sie befähigt hat, in den 60er Jahren die Abstraktion zu verlassen und wieder figurativ zu malen. In der malerischen Erfahrung schlechthin ist also bereits der Keim angelegt, der Leibhaftigkeit und der Erfahrung des Leibes Gestalt zu geben. Die Frage ist nur, welche Gestalt. Eine natürliche, eine prämorphe, amorphe, oder eine von der Industrie gestylte Form, wie es z. B. Playboy tut. Adolf Frohner hat mit seiner Körpermalerei sich nicht auf die eigenen Empfindungen bezogen, sondern, auch das weiß man, hoffe ich, auf die Darstellung des Körpers in den öffentlichen Massenmedien. Nicht der Körper als Ausdrucksmedium, sondern der Körper in den sozialen Medien war sein künstlerisches Ziel. Er hat sich also auf die von der Bewusstseinsindustrie der Plakat- und Werbewelt gestylte Form des Körpers konzentriert und sie in Malerei rückübersetzt. Dabei hat er hinter der augenscheinlich schönen Form die elende Verformung entdeckt: die Verstümmelung des Körpers durch die soziale Codierung in den visuellen Massenmedien. Seine Malerei liefert Bilder vom öffentlichen Bild der Frau. Der Linie dieses Dialoges von Fotografie und Malerei folgt auch Arnulf Rainer, der aber getreu seinen informellen malerischen Anfängen der 50er Jahre an den informellen Aspekten des Körpers interessiert ist und die Sprache des Körpers zwar fotografisch dokumentiert, aber malerisch ins Prämorphe, Vorformale, Nichtoffizielle, Psychopathische erweitert hat. Der Fotokörper erfährt also malerische Transformationen, welche dazu dienen, den Kanon des Körperausdrucks vom Erlaubten ins Nichterlaubte zu erweitern. Er ist dabei vom eigenen Körper ausgegangen und erst später auf Fremdkörper, Frauenkörper usw. umgestiegen. Wir haben nun bereits einige formale Operatoren der Körperästhetik kennengelernt wie z. B. Fremdkörper, Bild, Körperbewusstsein, Körperausdruck, Form, Nichtform, die wir auch bei Stimpfl vorfinden, nur anders verwendet und in einem anderen Bezugsrahmen. Darüberhinaus führt er einen neuen, wesentlichen Faktor bzw. Operator ein. 16 Zuerst einmal müssen wir uns präzise bewusst machen, dass es sich um Aquarelle handelt, und was das überhaupt bedeutet: Aquarelle. Darin liegt nämlich schon eine der Eigenständigkeiten von Stimpfl, wie er bewusst die formalen Möglichkeiten des Aquarells in die Wiener Körperästhetik einführt. In seinen Akt-Aquarellen wird nämlich der Körper nicht aus Linien aufgebaut wie bei den erwähnten Vorgängern, nicht Linien geben dem Körper seine Form, auch nicht die Linien der Handbewegung. Nicht die freigelassene Motorik einer auf dem Blatt ausschweifenden Hand formt sich zu einem Körperbild. Es wird vor allem auch nicht auf die Linien der öffentlichen Körperfotos, auf die Fremdlinien fremder Körper hingezielt. Also weder die eigenen Linien noch fremde Linien schaffen den Körper. Es ist die rinnende Farbe, welche dem Körper Kontur gibt, sofern man überhaupt von Kontur sprechen kann. Das Papier nämlich knautscht sich gleichsam zusammen zu einem Körper. Durch die Farbflecken zieht sich das Papier zusammen zu einem Körper. Der Körper ist eigentlich gar nicht anwesend, kaum sichtbar in den extremsten Ausformungen der Stimpfl’schen Kunst, sondern die eigenen Vorstellungen des Betrachters finden sich in den Farbmorphien, in den Farbgestalten auf dem Papier als Körpergestell wieder. Aus farblich abgeschwächten Pinselstrichen als Hintergrund verdichten sich Farbflecken, die Körperteile darstellen. Aus der abstrakten Farbe rinnt der konkrete Körper zusammen. Farbflächen „verdichten" sich zu Körperbildern. Stimpfl bezieht sich weder auf fremde noch auf eigene Körper, sondern seine Bilder handeln primär von Farbkörpern. Nicht der Strich, die Linie gibt dem Körper die Form, sondern die Farbe konstituiert den Körper. Die Farbfläche gibt dem Körper keinen Umriss, sondern Volumen. In diesem Verdichtungsvorgang der Farbe, woraus der Körper entsteht, liegt das Wesentliche der Körperästhetik von Stimpfl. Die Farbe spricht als Körper! Was bedeutet das? Zuerst einmal, dass der Körper entgrenzt wird. Als Erbschaft der informellen Malerei benützt Stimpfl die freigelassene Motorik der Farbe als Erfahrung der Freiheit des Körpers. Indem er dem Körper keine zeichnerische Kontur gibt, sperrt er ihn gar nicht erst ein in eine Form, sondern lässt ihn offen, löst ihn, erlöst ihn. Indem er den Körper aus Farbklumpen aufbaut, lässt er ihn formal entgrenzt. Die Farbform des Körpers ist eine offene Form. Wir sehen wenige Körperglieder, weil diese nach einer strichhaften Darstellung verlangten. Stimpfl verdichtet den Körper durch seine Farbklumpen zu Volumen. Wer den Körper als Verdichtung von Flächen und Volumen darstellt, versucht beim Betrachter eine Empfindung der Sättigung auszulösen. Eine Empfindung, die nicht von Erfahrungen außerhalb der Malerei ausgeht, also vom gesellschaftlich bestimmten Bild der Frau, von der sozialen Codierung des Körpers, sondern versucht, Malerei-immanent den Körper darzustellen, versucht, mit den Mitteln der Malerei alleine eine körperliche Empfindung vom Körper selbst zu geben. Stimpfls Körperästhetik ist Malerei-immanent, liefert also keine Bilder vom öffentlichen Bild der Frau wie die von Frohner, und ihr Körperbewusstsein geht auch nicht von der eigenen Person aus wie bei Lassnig, da es sich ja zumeist um weibliche Körper handelt. Sie bleibt innerhalb der malerischen Mittel. In seinen privaten Leibbildern, besser gesagt, in seinen existenziellen (im Sinne von „Es gibt ein x" im Gegensatz zu „Für alle x") Leibbildern verschmelzen fremdpsychische und eigene Körperempfindungen. Keine von außen präformierten Körper sehen wir in seinen Bildern, sondern formfreie Körper, d. h. Körper als Körper. Die Farbe spricht als Körper, heißt genau das: als Fleisch, frei von sozialen und psychischen Verengungen, Begrenzungen, Verformungen. Ja, wird man fragen, ist das überhaupt erlaubt, wie ist das möglich? Ein Gemisch von Farbe, Verschlingungen von Linien und Farben, von verdichteten Flächen bilden Körperrümpfe ohne extreme Körperglieder in dominierenden Körperflächen wie Braun, Rotbraun, Rotgelb. Diese Malerei-immanente Körperästhetik der Sättigung und Fülle ist eine körperimmanente Körperdarstellung mit dem Ziel, eine körperliche Empfindung vom Körper auszulösen, den Körper pur zu zeigen. Die Farbe kann als Körper nur insofern sprechen, als die Farbempfindungen gleichartige Körperempfindungen auslösen. Nicht der soziale oder psychische Körper wird dargestellt, sondern der irdische Körper. Durch Farbritzen blicken wir tief hinab in die Geheimnisse des Körpers. Durch Farbrisse und -brüche steigen Empfindungen auf. Die Leibhaftigkeit des Leibes finden wir im Mittelpunkt der Stimpfl’schen Körperästhetik. Damit natürlich auch Fragen des Leides und der Freude, des Todes und des Lebens. In diese irdische Körperästhetik kommt daher auch ein Schuss Metaphysik, eine Erlösungssehnsucht. Ist nämlich der Körper keine bloße Form mehr, sondern eine offene Farbe, ist er auch eine offene Wunde. Da spüren wir den Körper als offenes Gefäß, als Passage, als transitorischen Zustand auf dieser Welt. Alles, was wir aus den Farben ablesen können, ist, was uns Stimpfls Akt-Aquarelle sagen, nämlich: Körper ohne Reue. Ohne diesen Meliorationsmoder, d. h. ohne diese Zwangsjacke der neuzeitlichen Ästhetik. Freie Körper ohne Lack, archaische Körper, Schritte ins Dunkel, herrliche Dinge ohne die Mützen der Geschlechtsorgane, Knochen, welche die Visionen der Nacht pfeifen, Melodien der Schöpfung, große Tiere ohne Lippen, ohne Augen, 400 Millionen Leiber als Ergebnis von Jahrtausenden, unorganisierte Schlünde, Mütter, keine präformierten Inhalte, der Körper als offene Erlebnisquelle, Anfang und Ende, als Echo und Einsamkeit, als Pornografie der Landschaft, als Mut und Scheu, als Kosmos und Chaos, Bewusstsein und Sexus, als Brennholz der Begierde und Eisscholle, Wallung und Hunger, Meer und Adler, als Samen und Wasserfarben, Verlust des Ich, Ekstase und Yoga, als Katastrophe, Angst, aber auch Heilung und Licht. Der Körper als letzter Zwang, aber auch als Rausch, als Tiefe und Oberfläche, als Stil und Erkenntnis, als Ahnung. Stimpfls verschwommene Akte, verschwommene Aquarelle —ihre Botschaft ist: der Körper trägt den Traum! Die Dringlichkeit von Stimpfls gesättigten, verdichteten Farben — wenn er auch nicht gerade leuchtende, grelle Farben verwendet, sondern verhaltene, schwere, die davon zeugen, dass Stimpfl von der Vergänglichkeit des Leibes weiß — die Dringlichkeit seiner gesättigten, verdichteten Farben verweist eben auf Vitalität und Leibesfülle, wenn auch im Widerschein einer Ästhetik der Angst. Obwohl seine Bilder, Gott sei Dank, kein Spiegel einer naiven Leibfröhlichkeit sind, zeugen sie aber ebenso wenig, Gott sei Dank, vom gerade in Österreich so beliebten Schick des Todesdesigns. Seine Bilder zeigen uns, wenn wir sehen können, schlicht und einfach, der Körper ist die Kunstform des Lebens. Parnass 1983, Heft 2, Jhg. III. 17 }}


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Informationen: Dr. Angelika Stimpfl