Otto Braicha, Publizist und Kunsthistoriker
"Weibliches - Leibliches zu August Stimpfl"

{{Verglichen mit anderen Künstlern ist er ausgesprochen sesshaft. Nach wie vor lebt und arbeitet er in Imst, wo er vor einem Dreivierteljahrhundert das sogenannte „Licht dieser Welt" erblickte. Von ein paar (allerdings für ihn ziemlich wichtigen) Reisen hat er sich von dort nicht wegbewegt, inmitten der tirolischen Umstände und Befindlichkeiten ein Auskommen gefunden, mit dem er gut leben kann. Im Tirolischen (und also mit den Tirolern) kennt er sich aus, weiß um die Umstände und Winkelzüge dortigen künstlerischen Vorkommens. Er ist kein Tiroler mit Schlapphut und Lederhose. Ich weiß nicht, ob er die hohen Berge seiner Heimat liebt, die ihn im oberen Inntal hintergründig umgeben.

Von Imst aus hat er seine Kreise gezogen. Zunächst einmal daheim in Tirol, aber bald auch weiter hinaus. Innerhalb der österreichischen Kunstszene wird er wohl beachtet und geachtet. Wer sich heutzutage auf „gute Malerei" ambitioniert, kann nicht gut auf das verzichten, was Stimpfl im Lauf der Jahre gemalt und gezeichnet hat.

Man sagt der Kunst aus Tirol (der Gegenwart wie der Vergangenheit) eine besondere Affinität zum Italienischen nach. Was aber für die Kunst gilt, gilt irgendwie auch für die Landschaft. Sie gibt sich einigermaßen „südlich". Der Name des Hanges, wo Stimpfl wohnt, lässt vermuten, dass es dort einmal Weingärten gegeben hat. Gleich nebenan ist seinerzeit das erste der Gmeiner Kinderdörfer entstanden. Obwohl manches inzwischen dazugesiedelt wurde, lebt es sich dort noch immer abgehoben mit schönem Ausblick in die lichtdurchprasselte Talschaft.

Der Anstieg zu Wohnhaus und Atelier ist alles andere als eben und kommod. Nichts zum Spazieren, wie das Leben des August Stimpfl kein Spaziergang gewesen ist. Er hat (auch künstlerisch) alles Mögliche mit- und durchgemacht. Zum Beispiel ein letztes Stück Krieg, als dieser, seinem Ende zu, besonders deprimierend und gefährlich verlaufen ist. Wie alle anderen, die wie er Mitte der zwanziger Jahre geboren wurden, gehört er jener Generation an, die dann, nicht mehr besonders jung, 1945 in jeder Hinsicht (und also auch künstlerisch) neu beginnen mussten. Als Soldat war Stimpfl in Witebsk und am Kaukasus, in Finnland und Norwegen. Als einundzwanzigjähriger Leutnant aus der Wehrmacht entlassen hat er dann, der schon ehedem zeichnete und malte, seine künstlerischen Ambitionen zunächst autodidaktisch weitergebildet. Er verstand sich auf das, was man Können nennt, ganz gut, als er dann von 1948 an die Wiener Akademie am Schillerplatz frequentierte.

Bei den Professoren Andersen und Boeckl wurde er dort mit Praktiken konfrontiert, die ihn und sein bisheriges Kunstverständnis gründlich erschütterten. Andersen als ein Methodiker und Ordnungssucher propagierte solches auch bei seinen Schülern, während Boeckl im Gegensatz dazu Perspektiven aus dem Sinnlichen ins Metaphysische eröffnete. Beides war dem jungen Stimpfl einigermaßen fremd. Unter den damals mit ihm Studierenden waren der spätere Bildhauer Avramidis geradeso wie (noch vor seinem spektakulären Art Club-Debut) von Andersen zum Aktzeichnen vergatterte Hundertwasser. Wie bei Andersen üblich zeichnete Stimpfl auch Akt und Stillleben. Offenbar hatte er das, was ihm bei Andersen beigebracht worden war, besonders ernst genommen. So etwa ist der halblaut geäußerte Rat zu verstehen, welchen der Lehrer dem jungen Kollegen bei der Diplomüberreichung für weiterhin mitgegeben hat: „Sie müssen mehr flunkern!". 1951/52 hatte er sich aus dem Schulischen freigeschwommen. Er heiratete jene Frau, mit der er noch heute verheiratet ist und reiste mit einem Künstlerkollegen nach Italien, um dort Welt zu schnuppern.

Genau weiß Stimpfl bis heute nicht, was mit Andersens „Flunkern" gemeint war, aber er fühlte es. Etwa so, zum Besseren seiner Art ein gewisses Ansinnen einzumischen, etwas mehr vorzugeben, als mit dem Pinsel und dem Zeichenstift in der Hand erackert werden kann. Zunächst vom Sogesagten ziemlich betroffen gemacht, hat er solches inzwischen für sich und seine Arbeit bedacht. Nur zu gut weiß Stimpfl inzwischen, dass fürs Künstlerische etwas dazugehört, was fundamentalistische Observanz relativiert, gewissermaßen musisch lockert. Es hat dann bis 1970 gedauert, bis ihm das einigermaßen glückte. Das Jahrzehnt zuvor war angefüllt mit großen Wandbildern und Keramikobjekten, mit ausladenden Reliefwänden und Glasfensterarbeiten für öffentliche Gebäude. Es war von 1954 an eine regelrecht abstrakte Werkphase, bis er um 1970 herum wiederum nach der menschlichen Figur zu zeichnen begann, Akte wie ehedem, aber in einer eben verschiedenen, im bewussten Sinn mehr „geflunkerten" Auffassung.

Seit achtunddreißig Jahren ist Stimpfls großes Thema die „Frau" immer wieder und überhaupt. Mit seinen bis in die achtziger Jahre hinein entstandenen Aktdarstellungen ist er dann auch bekannt und wichtig geworden. Gut erkennbar und ansprechend eindrücklich ist da gezeigt, wie Modelle stehen, dasitzen und hingestreckt lümmeln. Wenn auch keineswegs „geschönte" Blätter, sind es jedenfalls dem Geschmack entsprechende und in mancher Hinsicht „interessante" Darstellungen nach denen bald einmal gelangt wurde. Sie haben Stimpfls künstlerisches Renommee begründet und die Auseinandersetzung mit ihm und seiner künstlerischen Art angeregt. Stimpfl hätte diese nicht schlecht erfolgreiche Arbeit unbeirrt bis heute fortsetzen können (wenn ihm nicht, dem sensiblen künstlerischen Menschen, der er ist) etwas entscheidend dazwischen gekommen und zugestoßen wäre.

1984 hatte er eine schwere Herzoperation auf Tod und Leben. Sie veränderte sein künstlerisches Verhalten entscheidend. Aus dem panischen Gefühl, womöglich nicht mehr genug Lebenszeit zu haben, überstürzte er das dahin Entwickelte. Auf einmal und wie mit einem Sprung sollte das erreicht und womöglich übertreten werden, was er noch in seiner Arbeit vorhatte. So resultierte ein für ihn neuartiges Spontanverhalten und eine Freizügigkeit, die weniger Erscheinung beschreibt, aber Bildgeschehen ereignishaft gestaltet. Wieder einmal bewirkte die unmittelbare Nähe zum Tod jene ganz besondere aufgeregte (und dementsprechend aufregende) Unmittelbarkeit. So als ob mit einem Mal alles Mögliche ein- und aufgeholt werden müsse, künftige Themen angegangen und durchgekostet. In Anbetracht einer nunmehr heftigen und geradezu barocken Körperlichkeit sind es (und das seit nun gut eineinhalb Jahrzehnten) ungleich kompliziertere Darstellungssituationen. Leibmassen stoßen aufeinander und durchdringen sich. Das Erkennbare spielt längst nicht eine vordringliche Rolle wie ehedem. Vielmehr geht es um bildnerisches Geschehen, ums veritable Bildereignis. Die Vorstellung von dem, was auf dem Bild zu sehen ist, verändert sich, indem es gemalt wird. Formen (soweit sie überhaupt zu definieren sind) überschichten sich und gehen ineinander auf, bilden (gewissermaßen aus sich heraus) vorerst vielleicht unbeabsichtigte Zusammenhänge und Gegensätze. Die Gestalt verliert die augenfällige Verbindlichkeit, indem sie von einem Zustand in einen anderen wechselt. Vorrangig ist das Malgeschehen (wie es beim Informel so gewesen war). Es entsteht jeweils aus einem vom Gegenständlichen weitgehend entrückten Farb- und Formgefühl.

Auch schon vorher hatte sich Stimpfl mehr auf seine aufmerksame Erinnerung als aufs Hinschauen verlassen. Noch bis nach 1970 hat er nach Aktmodellen gezeichnet. Er habe aber, meint er, ein besseres Gefühl und Empfinden fürs Gesehene gehabt, wenn er dann dem Modell abgewandt am Blatt zeichnete. Überhaupt misstraut er seiner kontrollierten Geschicklichkeit. Kollege Zufall spielt mit, wenn er sich gelegentlich gewissermaßen hinterrücks am Bild zu schaffen macht. Was er malt (und zeichnet), soll möglichst seine Frische behalten. Man kann Stimpfls Arbeit dahin ansehen und einschätzen, wie ihm das gelungen ist. Nicht dass er im Sinn des ihm zugeflüsterten Ratschlag eines Lehrers aus dem „Flunkern" ein Prinzip macht, erscheint indessen, was er dem Betrachter vorsetzt und zumutet, beträchtlich aufgelockert. Wenn behauptet werden kann, dass Mitte der achtziger Jahre der Akt sein beinahe ausschließliches Thema gewesen ist, so hat er das seither ungemein ausgeweitet und differenziert: hin zu Mehrfigurigen, zu Paarungen, ins konvulsivisch Bewegte. Überhaupt ist Stimpfl nunmehr in der Lage, selbst komplexe Inhalte anzugehen, ansatzweise wenigstens, ohne darum das Figürliche bleiben zu lassen. So sind Bilder über Gewalttaten des Cortez in Mexiko, zu Themen wie „Eroberer" und „Ritterschaft" kühn konzipiert worden. Mitunter auch Landschaftliches, doch dann zumeist so, dass aus irgendwelchen figürlichen Vorgaben der landschaftliche Charakter einer Darstellung herausentwickelt oder darübergelegt worden ist. Auch wenn Stimpfl Landschaften malt, ist es so, dass er dem Augenscheinlichen der Gegend „den Rücken kehrt", lieber aus der Erinnerung malt, so wie er das vor den Aktmodellen nicht viel anders praktizierte.

Aus dem Drang, nichts zu versäumen und Möglichkeiten seiner Arbeit vorwegzunehmen, die er sonst hätte „reifen" lassen, wurden die Farben kräftiger und die Bildformate größer gewählt. Dergleichen sind Druckgraphiken (große Radierungen zumal) entstanden. Die Bildfläche gilt als „ein Art Aktionsarena". So hat sich der Medien-Guru und Avantgardismus-Advokat Peter Weibel mehrfach zu Stimpfl geäußert und dessen künstlerische Art und Gestaltungsweise zum Beispiel mit dem Körperbewusstsein der Wiener Aktionisten in Verbindung gebracht. „Die Farbe spricht als Körper", meint er etwa in diesem Zusammenhang und argumentiert mit einer „Motorik der Farbe als Erfahrung der Freiheit des Körpers". Alles nur Erdenkliche geht für ihn aus ihnen hervor. Erlebt sie in geradezu menschheitlichen Bezügen und beweist sich und allen, die sich mit Stimpfls Bildern beschäftigen, dass es auch in Stimpfls Fall auf die Perspektive ankommt. Wie man die auch immer dreht und wendet: „Der Körper ist die Kunstform des Lebens".

Eben das verbindet den Imster Stimpfl untergründig, wie auch andere Male gemeint worden ist, mit sanktionierten Kunst-Größen wie Bacon und Giacometti. Was sich vielleicht nicht ohne weiteres vergleichen lässt, verhält sich im Grunde wirklich nicht viel anders. Auch dort sind es (wenn auch anders aufgefasst) Körper und menschliche Leibbilder, Körperempfindungen und Anspruch über das handfest Anschauliche hinaus. Jeder von Ihnen „flunkert" auf seine Weise, wenn er künstlerisch etwas entstehen lässt, was über das Maßgebliche und Messbare am Figürlichen entscheidend hinausgeht. }}

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Informationen: Dr. Angelika Stimpfl